Klause

Es ist keine Kunst, das zu achten, was Du für Deinesgleichen hälst.

Die Kunst besteht darin, auch das zu achten und zu respektieren, was anders ist als Du.

Der agnostische Gott

von

f. s. montanus

Fassung vom 15. Juli 2018

Ja, ich gebe es zu. Was die Leute erzählen, ist wahr. Zumindest dieser eine Punkt ist richtig. Wenn sie auch sonst so ziemlich mit allem falsch liegen, was sie über mich verbreiten. Diese eine Sache ist wahr. Ich habe die Welt erschaffen. Das ganze Universum. Mit allem Drum und Dran. Den Raum und die Zeit. Das Licht und die Materie. Die Gesetze, nach denen der ganze Kosmos zusammenspielt. Das alles ist mein Werk.

Es gibt Menschen, die loben mich dafür in den allerhöchsten Tönen. Sie meinen, ich hätte alles so wundervoll und so perfekt gemacht. In ihrer Euphorie versteigen sie sich sogar zu der Behauptung, ich sei allmächtig und allwissend. Über soviel Blauäugigkeit kann ich mich wirklich nur wundern. Sehen sie denn wirklich nicht, was in dieser Welt geschieht? Der Kosmos ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Die Mängel sind so offensichtlich. Das Elend, die Gewalt, der Krieg, die Krankheiten, die Gewalten der Natur, der Tod ... Als denkendes und fühlendes Wesen, das mit offenen Augen die Welt sieht, kann ich nur sagen: es gibt in der Welt so vieles, das es besser nicht gäbe.

Aber die Menschen lassen sich in ihrer Naivität nicht beirren. Manche sehen zwar das Elend und das Leid, das der Welt zu schaffen macht, aber sie meinen, man müsste es akzeptieren als den Willen Gottes. Sie glauben, ich wüsste schon, warum ich das Leid geschaffen hätte. Ich habe selten größeren Blödsinn gehört. Ich habe kein Leid geschaffen, um damit irgendeine Absicht zu verfolgen. Ich bin ja kein Ungott. Die traurige Wahrheit ist: ich habe die Welt einfach nicht besser hinbekommen. Ich habe alles so gut gemacht, wie ich konnte, aber am Ende war es leider nicht gut genug. Auch heute weiß ich noch keinen Weg, wie ich das Leiden hätte vermeiden können. Falls es einen geben sollte, dann ist er mir bislang verborgen geblieben. Vielleicht ist es aber auch so, dass es einen solchen Weg gar nicht gibt. Das ist, was ich mittlerweile vermute.

Manchmal höre ich auch den Vorwurf, dass ich das Leid in der Welt einfach zulassen würde. Dass ich tatenlos daneben stehen und es einfach so geschehen lassen würde, anstatt es zu verhindern. Die Leute, die so reden, wissen gar nicht, wie sehr sie mir damit Unrecht tun. Das Leiden der Menschen, der Tiere, aller fühlenden Wesen ist furchtbar, ich leide selbst darunter. Ich lasse es nicht einfach so zu. Aus Gleichgültigkeit, oder aus irgendeiner Laune heraus. Nein. Das Problem ist, dass ich einfach nichts dagegen tun kann. Ich bin eben nicht allmächtig. Ich bin nicht so, wie mich die Menschen in ihrer Phantasie ausmalen. Ich bin ein echtes Wesen, kein herbeiphantasierter Supergott, der mit einem Fingerschnippen alles gerade rücken kann. Wenn ich das Leiden der Welt verhindern könnte, würde ich es tun. Aber ich kann es nicht. Es gibt unendlich viel mehr Dinge, die ich nicht kann, als es Dinge gibt, die ich kann. Und in die Welt nach Belieben einzugreifen, sie zu kontrollieren, sie wie eine Marionette an Fäden tanzen zu lassen, das gehört nun einmal zu den Dingen, die ich nicht kann. Man mag es gut oder schlecht finden, aber die Welt hat ein Eigenleben, seit ich sie geschaffen habe, und entzieht sich meiner Kontrolle.

Es gibt auch Leute, die sagen, ich würde gar nicht existieren, was ich fast am lustigsten finde. Wenn sie sonst kein Problem mit mir haben, soll mir das recht sein. Obwohl ..., wenn ich es recht bedenke, sind diese Leute auch nicht besser als die, die mich für existent und allmächtig halten, nur dass sie eben an meine Nichtexistenz statt an meine Existenz glauben. Genau genommen führen sich beide Sorten von Menschen als ziemliche Besserwisser auf. Gott existiert, sagen die einen. Gott existiert nicht, sagen die anderen. Woher wollen sie das alles so genau wissen? Also ich weiß nicht, ob es noch andere Götter neben mir gibt. Ich habe bis jetzt noch keine getroffen, aber das heißt ja nicht, dass es keine gibt. Ich weiß auch nicht, ob es einen Gott gibt, der mich gemacht hat. Wo komme ich her? Ich existiere, seit ich denken kann. Aber habe ich immer existiert? Hat es mich schon immer gegeben? Ich habe nicht die geringste Ahnung.

Deshalb sind mir auch die Menschen am angenehmsten, die weder an meine Existenz glauben, noch an meine Nichtexistenz. Die sich einfach um Ehrlichkeit auch sich selbst gegenüber bemühen und sagen: ich habe keine Ahnung. Kann sein, Gott existiert, kann sein, Gott existiert nicht. Solche Menschen sind mir am ähnlichsten. Sie sind mir am liebsten. Nicht dass ich die anderen nicht auch lieben würde. Aber ihre Besserwisserei geht mir manchmal ziemlich auf die Nerven.

Am schlimmsten von denen, die immer alles besser wissen, finde ich aber die, die die Frechheit haben, in meinem Namen aufzutreten. Es gibt nichts Schlimmeres als diese Leute. Gott will dies, sagen sie, Gott will das. Woher wollen sie das alles so genau wissen? Im Brustton der Überzeugung verkünden sie, was ich angeblich wollen soll. Wenn man sie so hört, könnte man meinen, sie wüssten noch besser, was ich will, als ich selbst. Sie sind so selbstsicher und von sich überzeugt, dass mir ganz schlecht dabei wird. Ihre Meinungen werden von keinem Zweifel getrübt. Mit absoluter Überzeugung verkünden sie mitunter sogar das glatte Gegenteil von dem, was ich tatsächlich denke. Und sie haben nicht die geringste Ahnung, wie falsch sie damit liegen. Selig sind die geistig Armen, denn kein Selbstzweifel wird ihre Gedanken trüben. Ich kann es wirklich nicht begreifen, dass sie in meinem Namen sprechen und meinen Namen für ihre eigenen Ansichten missbrauchen. Denn genau das sind es: es sind ihre Ansichten, ihre Meinungen, ihre Vorurteile. Doch so sehr es mich auch aufregt, ich kann nichts dagegen tun. Absolut nichts. Ich kann nur warten und hoffen. Darauf, dass die Menschen irgendwann einmal anfangen, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen, und nicht mehr auf die hören, die vorgeben, für mich zu sprechen.

Manchmal frage ich mich, ob es falsch war, das Universum zu erschaffen. Schließlich habe ich mit dem Universum auch den Tod und das Leid geschaffen, und ich kann nichts davon verhindern. Andererseits habe ich auch das Leben erschaffen und das Glück. Das alles würde es nicht geben, wenn ich den Kosmos nicht gemacht hätte. Lohnt es sich dafür, Tod und Leid in Kauf zu nehmen? Wäre es besser gewesen, kein Universum zu erschaffen, oder ist dieses eine, das wenigstens eine Chance auf ein erfülltes Leben bietet, besser als gar keins? Ich bin mir da keinesfalls sicher. Aber manchmal denke ich, einmal das Licht des Lebens zu sehen ist besser, als niemals existiert zu haben.

Viele Menschen wünschen sich nichts sehnlicher, als in einer glücklicheren, gerechteren Welt zu leben. In einer Welt, in der alle ein gutes Auskommen finden, in der niemand von seinem Nächsten klein gehalten oder mit Füßen getreten wird. Nicht wenige beten dafür, dass ich eine solche Welt schaffen möge. Aber so funktioniert das leider nicht. Wenn eine solche Welt jemals kommen sollte, und das ist, was ich inständig hoffe, dann nur durch die Macht der Menschen, nicht durch mich. Die Menschen müssen sich ihrer eigenen schöpferischen Kräfte bewusst werden. Nur sie können diese Welt zu einem besseren Ort machen, nur sie können einander Frieden und Gerechtigkeit geben. Die Ungerechtigkeit, unter der die Welt leidet, ist kein Schicksal. Sie ist menschengemacht. Und die einzigen, die das ändern können, sind die Menschen selbst. Sie müssen es nur wollen. Ja, ganz recht. So einfach ist das. Sie müssten es nur wollen. Schon morgen könnte auf der Welt Frieden herrschen, wenn die Menschen es nur wollten. Sie müssten bloß damit aufhören, ihre Vorurteile, ihre Begierden, ihre Ängste und ihren Zorn wichtiger zu nehmen als den Frieden, und statt dessen dem Frieden Vorrang vor allem anderen geben. Mehr braucht es dazu nicht. Und doch fällt es den Menschen so schwer. Sie hängen an ihren Vorurteilen und ihren Begierden wie ein Süchtiger an seiner Droge. Angst und Zorn zerfressen ihren Geist von innen. So stehen sich die Menschen auf dem Weg zum Frieden selbst im Weg. Wenn sie endlich einmal lernen würden, loszulassen und die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu erkennen, wären sie einen großen Schritt weiter.

Aber ich möchte hier nicht weiter lamentieren. Wer immer diese Zeilen vielleicht eines Tages lesen wird, wird das ohnehin nicht hören wollen. Nur eines möchte ich zum Schluss noch sagen: Ich bin Gott. Ich bin der Schöpfer der Welt. Aber ich bin nicht ihr Herr. Ich möchte nicht, dass die Menschen mich anbeten. Ich möchte nicht, dass sie mich verehren oder dass sie mir Opfer darbringen. Ich möchte nur eins: dass sie aufrechte Menschen sind, dass sie Mitgefühl haben mit anderen, mit allem, was fühlt, dass sie ihren Verstand gebrauchen und sich ihre eigenen Gedanken machen über die Welt. Ich bin nicht allwissend, ich kenne auch nicht den richtigen Weg. Ich bin auch nicht allmächtig. Ich kann den Menschen nicht helfen, so gerne ich es auch täte. Aber das steht nicht in meiner Macht.

Doch auch wenn ich den Menschen nicht helfen kann, eines steht fest: sie sind nicht allein. Ihr Schicksal ist mir nicht egal. Wenn sie glücklich sind, lache ich mit ihnen. In ihren dunklen Stunden weine ich mit ihnen. Sie sind mir nicht gleichgültig.

Ich würde etwas darum geben, wenn ich das den Menschen einmal sagen könnte. Doch leider geht das nicht. So, wie ich diese Welt nicht kontrollieren kann, kann ich mich den Menschen auch nicht verständlich machen. Sie können mich nicht hören.